In Brück in der Nähe von Potsdam belebt eine kleine Gemeinschaft zwei Häuser und wirtschaftet in einem Waldgarten mit Baumschule. Durch meine Besuchsanfrage erfuhr ich von einem Event, das maßgeblich von den Menschen der Gemeinschaft organisiert und ausgerichtet wird - das Workshopfestival. Das Festival ist selbstorganisiert, was bedeutet, dass die Workshops von den Teilnehmenden selbst gegeben werden und Aufgaben wie Kochen, Putzen und Abwaschen ebenfalls selbst erledigt werden. Da ich erst so kurzfristig vom Workshopfestival erfuhr, fehlte mir etwas die Zeit eine Workshopidee zu entwickeln und vorzubereiten. Auf Anhieb fiel mir auch nichts ein, das ich hätte anbieten können. Um trotzdem etwas beizutragen reiste ich ein paar Tage früher an um beim Aufbau zu helfen. So hatte ich auch die Möglichkeit den Ort und die Menschen, die hier wohnen etwas kennenzulernen, bevor der Festivaltrubel losging.
An den Aufbautagen sollte es sehr heiß werden - bis zu 38 Grad. Daher starteten wir früh in den Tag. Am Montag half ich morgens im Waldgarten Flächen für Zelte vorzubereiten. Der Garten liegt direkt an den Bahngleisen und wird daher “Lummerland” genannt. Zu zweit schlugen wir Brennnesseln und Wurzeln zurück, räumten abgesägte Baumstämme und Steine zur Seite, fegten Zweige weg, füllten Löcher im Boden aus und harkten Hügel breit. Während des Festivals würde ich ebenfalls in meinem Zelt dort übernachten. Die drei Nächte bis zum Festivalstart schlief ich allerdings in der “Scheune”, einem Nebengebäude der Frieda, das mit Stoh ausgestreut war und in dem schon eine große Anzahl Matratzen bereit lag.
Am Abend besuchten wir zusammen das Naturbad in Brück - im Grunde ein Freibad, nur ohne Chlor - und aaßen eine Portion Fritten. Im Anschluss spielten wir in einem Park in der Nähe Ultimate Frisbee. Das Spiel ist bei den Menschen, die hier wohnen, sehr beliebt und sie spielen es regelmäßig. Ich war der einzige Anfänger und hatte teilweise etwas Schwierigkeiten mit dem Stellungsspiel. Meine Kondition ließ auch etwas zu wünschen übrig. Kurz vor Ende musste ich aufhören, weil eine Blase, die ich mir in den letzten Tagen gelaufen hatte, aufplatzte. Trotz alledem hat es Spaß gemacht.
Am nächsten Tag war mein Job zunächst drei Kühlschränke sauber zu machen, die teilweise schon arg von Schimmel befallen waren. Danach half ich mit die Treppe zur Scheune zu erneuern, die schon etwas marode war. Wir bekamen zu diesem Zweck Holz von einem Nachbarn, das wir allerdings zuerst aus einem großen Lagerregal heraushämmern mussten. Wir waren zu zweit bis abends beschäftigt das Holz zuzuschneiden, Löcher in das Metallgerüst der Treppe zu bohren und die Treppenstufen festzuschrauben. Das Ergebnis war zufriedenstellend.
Am Mittwoch ging das Festival dann offiziell los. Ich baute mein Zelt im Lummerland auf und ging dann zum Einführungstreffen. Dort wurden organisatorische Dinge besprochen und wir bildeten “Nachbarschaften” von zunächst drei Menschen. In diesen Gruppen würden wir uns täglich treffen und Schichten für Gemüseschnippeln, Putzen, Abspülen etc. untereinander aufteilen. In den folgenden Tagen kamen pro Nachbarschaft noch jeweils 1-2 Neuankömmlinge dazu.
Der Donnerstag war der erste Workshop-Tag. Ich besuchte fünf Workshops: Nachhaltiger Aktivismus, Sorgen statt Erwerben, Gemeinsame Ökonomie (der allerdings ausfiel, weil die Workshopleitung nicht angereist war) und World Café. Nach dem Abendessen gab es dann noch einen Einführungskurs zu Lindy Hop und im Anschluss Lagerfeuer im Frieda-Garten.
Am Freitagvormittag ging es kreativ weiter, mit Workshops zu Massage und Gesang. Am Nachmittag gab es bei Kaffee und Kuchen einen Vortrag zu Bürgi*räten im Waldgarten. Im Anschluss diskutierten wir in einer kleinen Runde noch sehr lange über verschiedene Strategien die Gesellschaft zu transformieren und inwieweit Bürgi*räte dazu ein geeignetes Mittel sind oder nicht. Für den Abend war das Naturbad im Brück angemietet worden. Wir hatten es diesmal also für uns allein. Einige badeten nackt, andere mit Schwimmsachen. Die meisten blieben allerdings nicht lange im Wasser, da es um diese Uhrzeit schon wieder kühl wurde. Ich ging nicht ins Wasser, da ich meinen Fuß mit der aufgeplatzten Blase schonen wollte. Es konnte reichlich gegessen werden, da wir das Abendessen mittransporiert hatten - jede Menge Brot, Aufstriche und Salate. Um 22 Uhr mussten wir das Bad verlassen. Ich war für das Abendessen zum Spüldienst eingetragen. Nach jedem Essen wurde im Hof der Frieda eine Spülstraße aus drei großen Wannen aufgebaut. An diesem Abend gab es einen nicht-enden-wollenden Strom von Geschirr und Besteck zu bewältigen. Wir hatten dabei allerdings eine großartige musikalische Begleitung. Einer der Teilnehmer hatte sein Akkordeon rausgeholt und schmetterte ein Lied nach dem anderen - mal auf Französisch, mal auf Deutsch und ich glaube eins auf Jiddisch. Die Atmosphäre hatte etwas magisches - die langsam einsetzende Dunkelheit, erhellt durch ein paar Lampen und Lichterketten, Menschen die in Grüppchen zusammensaßen und sich unterhielten, andere die einfach der Musik lauschten und ein paar die dazu tanzten. Das Spülen fühlte sich nicht nach Arbeit an. In Momenten wie diesen frage ich mich wieso wir unser Zusammenleben nicht so organisieren, dass jeder Tag so endet. Auch wenn die Gemeinschaft, die hier innerhalb weniger Tage entsteht, nur temporär ist, so gibt sie doch eine Idee davon wie ein anderes Miteinander und eine andere Welt aussehen könnten.
Der Charakter des Workshopfestivals ist, dass es recht dynamisch ist. Es kann passieren, dass Workshops ausfallen (wie ich selbst erfahren hatte), dass sie verschoben werden oder, dass sich Menschen noch spontan entscheiden einen Workshop zu geben. So war es mit dem Gesangs-Workshop gewesen, den ich am Freitag besucht hatte und auch der Workshop, den ich am Samstag als erstes besuchte, war erst am Morgen angekündigt worden. Einer der Initiatoren des noch jungen Gemeinschaftsprojekts “WandelGut” erzählte über seine Erfahrungen und Schwierigkeiten im Prozess eine Gemeinschaft zu gründen. Wie die meisten Menschen, die diesen Weg gehen, hatte er mit einigen Hindernissen zu kämpfen gehabt. Er nannte den Richtwert, dass von 10 geplanten Gemeinschaftsprojekten nur eines tatsächlich gegründet wird. Auch wenn es für ihn keine 10 Anläufe gebraucht hatte, war es dennoch ein Prozess von über drei Jahren. Nachdem die erste Immobilie nahe Berlin an jemand anderes vergeben wurde, startete die Gruppe einen neuen Versuch in Schleswig-Holstein - fand einen Ort und baute eine Gemeinschaft von 40 Menschen auf. Während die lokalen Behörden dem Projekt sehr zugetan gewesen waren, gab dann allerdings das Land keine Genehmigung für dauerhaftes Wohnen auf dem Grundstück. Als es dann endlich an einem anderen Ort klappte, waren von der Ursprungsgruppe von neun Menschen nur noch zwei übrig. Dafür sind ein paar andere dazugekommen. Ein zweiter Richtwert den ich aus dem Workshop mitgenommen habe: Bis zu dem Punkt an dem eine Gründungsgruppe einen Ort gefunden hat steigen ca. 70 Prozent aus, z. B. weil der Ort für sie nicht passt. Ich bin dankbar, dass er es trotzdem durchgezogen hat, denn nun habe ich einen interessanten Ort, den ich vielleicht in Zukunft mal besuchen kann. Ich hatte bereits am Abend zuvor im Naturbad mit ihm gesprochen und von der Gemeinschaft erfahren. Besonders interessant fand ich, dass eines ihrer Projekte in der Weiterentwicklung und dem Betrieb von Freier Software besteht. Während der Gemeinschafts-Workshop kurzfristig dazugekommen war, fiel ein Zeichen-Workshop, der eigentlich geplant gewesen war, aus. Eine Teilnehmerin, die diesen Workshop gerne besucht hätte, zeichnete als Ersatz mich, wie ich während des Gemeinschafts-Workshops dasaß und zuhörte und schenkte mir die Zeichnung am Ende.
Die Wahl des zweiten Workshops, den ich an diesem Tag besuchte, fiel ebenso wie beim ersten spontan. Das Thema war “Kryptowährungen als Grundeinkommen”. Ich war bezüglich dieses Titels sehr skeptisch, aber beschloss es mir trotzdem anzuhören. Da allerdings nur ich und noch eine weitere Person auftauchten, wurde beschlossen den Workshop ausfallen zu lassen und sich stattdessen am Abend zu treffen, wenn mehr potenziell Interessierte Zeit hätten. So gab es beim Abendessen eine Kurzeinführung zur Kryptowährung Circles, die allerdings nicht wirklich überzeugend war. Nicht mal der Workshopleiter selbst schien sehr überzeugt. Den Nachmittag zuvor hatte ich mir freigenommen, um mich ein bisschen zu entspannen und das Erlebte aufzuschreiben.
Am Abend gab es eine Offene Bühne und anschließend Party im Lummerland. Einige der Highlights der Offenen Bühne waren eine musikalische Improvisation, ein weiterer Auftritt des Akkordeonkünstlers und zum Abschluss eine kleine Feuershow. Danach legten drei Menschen aus dem Frieda-Umfeld bis drei Uhr auf und es wurde getanzt und am Lagerfeuer gesessen. Ich hatte mein Zelt abgebaut, für den Fall, dass ich schon früher hätte schlafen gehen wollen, blieb dann aber doch bis nach 3 Uhr. Die letzte Nacht schlief ich noch einmal in der Scheune.
Am Sonntag ging es etwas später los als an den anderen Tagen. Nach dem Frühstück gab es einen gemeinsamen Abschluss mit meditativem Rückblick, Sammeln von Feedback und metaphorischem Abfeuern von Dankbarkeits-Raketen. Danach half ich mit anderen Teilnehmis* noch beim Aufzuräumen. Als ich mit dem Fahrrad von der Frieda aufbrach und zu meiner nächsten Station fuhr, war ich zufrieden. Es waren ein paar schöne Tage, aber ebenso gut, dass das Workshopfestival nun zu Ende war und ich ein bisschen Pause von dem vielen Input und den vielen Menschen hatte.
*Ich habe angefangen in meinen Texten zu entgendern. Klicke hier für eine unterhaltsame Erklärung des Konzepts.