Die nächste Station meiner Reise lag im gleichen Ort wie die vorherige. Ich musste lediglich 20 Minuten mit dem Fahrrad fahren, bis ich vor dem großen Tor der Alten Mühle Gömnigk stand. Ich läutete eine Glocke, die am Tor hing, allerdings reagierte niemand. Da auf einem Schild am Tor vor freilaufenden Hunden gewarnt wurde, war ich mir unsicher, ob es eine gute Idee ist einfach hereizukommen. Kurz darauf sah ich allerdings zwei Menschen über den Hof laufen und winkte ihnen. Die beiden hatten keine Ahnung von meiner Ankunft, aber ich konnte ihnen erklären, dass ich zum “wwoofen” da bin (auch wenn ich mich gar nicht über die WWOOF-Plattform gemeldet hatte). Ich wurde ein bisschen herumgeführt und konnte mich in einem Zimmer unter dem Dach einrichten. Gerade war nicht viel los, weil viele Bewohnis* im Urlaub waren. Einige von ihnen würden aber in den nächsten Tagen wiederkommen.
In den ersten Tagen habe ich ein bisschen was in einem der zwei Gemüsegärten der Mühle gemacht - Unkraut gejätet und Rasen gemäht. Gerade waren viele Zucchinis reif. Ich habe eine in Scheiben geschnitten und in einen Solartrockner gelegt, der im Garten steht. Es ist im Grunde ein Schrank mit Schubfächern deren Boden aus einem Gitter besteht. Durch eine Glasscheibe mit dunklen Untergrund dahinter wird die Wärme der Sonne absorbiert und trocknet somit den Inhalt der Schubfächer. Neben Zucchini gab es auch schon frühe Äpfel (Klarapfel) aus denen wir Apfelmus eingekocht haben.
Die Mühle ist eine Dauerbaustelle. Viele der Bewohnis* leben (noch) in Bauwägen, daher wird daran gearbeitet in den Gebäuden mehr Wohnraum zu schaffen. Es gibt einige Menschen hier, die handwerklich was drauf haben. So werden beispielweise Bauwägen von Grund auf selbst gebaut und die Bau- und Renovierungsarbeiten in den Gebäuden selbst erledigt, inkl. Mauern und Zimmern. Da ich selbst kaum handwerkliche Erfahrungen habe, konnte ich auf der Baustelle nur einfache Aufgaben übernehmen, z. B. Putz von den Wänden meißeln und Zeug schleppen. Eine der Bewohnerinnen, die aktuell noch in einem Wagen lebt, ist dabei sich einen Raum in einem der Nebengebäude zu bauen. Ich konnte dabei wohl nicht wirklich helfen, was ich aber tun konnte war eine Pflanze von der Fassade zu entfernen, die bereits bis unter die Dachrinne gerankt war, und die Dachrinne selbst saubermachen.
Weil so viel zu renovieren ist, wird neben freiwilliger Arbeit einigen Bewohnis*, die auf der Baustelle arbeiten, über die Mühle ein Lohn gezahlt. Einer der Bewohner hört nun allerdings auf für die Mühle zu arbeiten, da er demnächst seinen Meister machen und dazu noch einmal zur Schule gehen wird. Um das Ende seiner zweieinhalb Jahre Anstellung zu feiern, setzten wir uns auf die Dachterasse einer Wohnung, die vor kurzem fertig geworden war, und später ans Lagerfeuer. Ich lernte wie man einen Hugo mixt (sehr erfrischend) und dass es möglich ist JBL-Bluetooth-Boxen miteinander zu koppeln.
Neben dem Hauptgebäude, in der Mitte des Hofes gibt es die “Gästevilla” - ein kleines Haus mit eigener Küche. Dort ist aktuell ein Geflüchteter aus der Ukraine untergebracht, der ursprünglich aus Nigeria kommt. Er hat in seinem Heimatland studiert und hat nun mit der Jobsuche und der deutschen Bürokratie zu kämpfen. Er berichtete über die völlige Perspektivlosigkeit in seiner Heimat und wie unmöglich es geworden ist mit einem normalen Gehalt den Kraftstoff für ein Auto zu bezahlen. Generell engagieren sich die Menschen aus der Mühle sehr für Geflüchtete. Als viele Menschen aus Syrien in Unterkünften in der Nähe untergebracht worden waren, an einem Ort ohne vernünftige Infrastruktur, besorgten und reparierten die Bewohnis* der Mühle für sie Fahrräder, sammelten Sachspenden und boten mit der Mühle einen Ort wo sich die Geflüchteten aufhalten konnten und wo sie auch Internet hatten. In der Zeit meines Aufenthalts war eigentlich geplant gewesen, dass eine Schulklasse aus der Ukraine für eine Woche in der Mühle bleibt. Das ist dann allerdings nicht zustande gekommen, weil sie eine andere Unterkunft gefunden haben. Vielleicht haben sie Fotos gesehen, die sie etwas verunsichert haben. Der Ort ist auf jeden Fall etwas anders als ein typisches Schullandheim. Gut möglich, dass sie sich dachten, dass so ein Ort, der noch eine halbe Baustelle ist, nicht die richtige Umgebung für eine Schulklasse ist. Oder aber die Graffitis mit linken Slogans (“No Justice, No Peace”) waren ihnen nicht geheuer.
Es ist sicherlich so, dass viele der Menschen hier starke politische Überzeugungen haben. Ich habe sie aber als recht pragmatisch und undogmatisch erlebt, was sicherlich auch damit zusammenhängt, dass ganz verschiedene Menschen hier leben und viele bereits Kinder haben. Offenheit für Vielfalt ist einer der selbsterklärten Grundsätze der Gemeinschaft.
Es war schwierig den Überblick zu behalten wer gerade vor Ort ist. Neben den dauerhaften Bewohnis* waren auch oft Menschen zu Besuch da. In der ersten Zeit war es erstmal eine Herausforderung sich so viele Namen zu merken. Am Wochenende fuhren viele Besuchis* wieder und einige Bewohnis* waren abends weg. Dadurch war es an diesen Tagen eher ruhig. Der Aufenthalt in der Alten Mühle war in gewisser Weise ähnlich zu meinem Aufenthalt in der Kuckucksmühle. Bei beiden Projekten machen alle so ein bisshen ihr Ding. In beiden Fällen hatte ich zwar ein paar Aufgaben, aber tendenziell nicht wirklich viel zu tun und es war niemand da der oder die sich aktiv um mich gekümmert hat. Dies war mir auch bei beiden Projekten im Vorfeld angekündigt worden und ich fand es auch völlig ok. Trotzdem entsprechen beide Projekte glaube ich noch nicht ganz meinem Ideal einer Gemeinschaft. In der Alten Mühle ist es auch so, dass es mehrere Wohnungen und Küchen gibt. Dadurch können die Familien einfach unter sich bleiben, was dazu führt, dass insbesondere abends der Hof und die Gemeinschafträume oft menschenleer sind. Gerade im Winter kann dies wohl dazu führen, dass Menschen ohne Kinder abends häufiger allein sind.
Auch das Wohnen an sich war ähnlich wie in der Kuckucksmühle. Wieder hatte ich mein eigenes Zimmer in einem alten Gebäude mit alten Möbeln. Eine Besonderheit in der Alten Mühle war, dass mein Zimmer keine Tür hatte. Im Nachbarzimmer befand sich ein Schwalbennest mit kleinen Kücken. Ein paar Mal verirrte sich eine Schwalbe in mein Zimmer und hatte Schwierigkeiten wieder herauszufinden. Internet war vorhanden, wenn auch etwas langsam und mit gelegentlichen Ausfällen.
Was das Essen angeht wurde ich ziemlich verwöhnt, insbesondere in der Zeit in der zwei Menschen da waren, die oft und gut gekocht haben. Es gab keine festen Essenszeiten und da es mehrere Küchen gab, aßen auch nicht alle zusammen. Trotzdem fanden sich mittags und abends meistens ein paar Menschen, die in der großen Gemeinschaftsküche kochten und zusammen aßen. An einem Abend gab es Pizza aus dem Lehmofen.
Die Gemeinschaft hat viel Land auf dem unter anderem ein Waldgarten und ein Agroforst angelegt werden. Der Boden ist allerdings sehr schlecht. Einer der Bewohner, der schon sehr lange in der Mühle lebt und viel im Waldgarten macht, erzählte mir von dem mühsamen und oft frustrierenden jahrelangen Prozess auf diesem herausfordernden Stück Land einen Waldgarten anzulegen. Als vor vielen Jahren die ersten Obstbäume gepflanzt wurden, sind die meisten von ihnen eingegangen. Es galt daher erstmal den Boden zu verbessern. Dazu wurden Ölweiden und andere trockenheitsresistente Bäume gepflanzt. Diese Bäume werden regelmäßig beschnitten und das Material zu Totholzhecken (Benjeshecke) gemacht. Durch Mulchen wird versucht die Feuchtigkeit auch in Phasen der Trockenheit (wie aktuell) im Boden zu halten und zu verhindern, dass sich überall Gräser ausbreiten. Ich habe ein bisschen mitgeholfen die Benjeshecken mit heruntergefallenen Ästen einer Kirsche zu verstärken und unter den Bäumen zu mulchen.
An einem Abend haben wir eine kurze Doku gesehen, die von (ehemaligen) Bewohnis* der Mühle gedreht wurde. Darin wird der alte Besitzer der Mühle interviewt wie es damals hier so war, während des Kriegs und später während der DDR-Zeit. Man sieht auch einige Menschen aus der Ursprungsgruppe der Gemeinschaft, wie sie zusammen mit ihm am Tisch sitzen, essen und von ihren Plänen für die Mühle erzählen. Die anderen schauten im Anschluss noch den Film “Don’t Look Up”, den ich aber ich schon gesehen hatte.
Ich werde die Zeit in der Alten Mühle in guter Erinnerung behalten und will verfolgen wie es mit dem Projekt weitergeht. Die Bewohnis* sind eine ziemlich bunte Truppe, alle auf ihre Art sehr individuell. Auch hier habe ich in Gesprächen wieder von weiteren spannenden Projekten erfahren, die ich vorher noch nicht kannte (Ecotopia Biketour, Alte Hölle, Lakabe in Spanien). Ich glaube ich bin auf einer guten Spur.
*Ich habe angefangen in meinen Texten zu entgendern. Klicke hier für eine unterhaltsame Erklärung des Konzepts.